Neu erschienen: Protestfotografie

Fotogeschichte. Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie

hg. von Anton Holzer, Heft 154, Winter 2019

Susanne Regener, Dorna Safaian, Simon Teune (Hg.)

Protestfotografie

Im Anschluss an die Studentenbewegung entstanden seit den 1970er Jahren neue Protestbewegungen: etwa die Anti-AKW-Bewegung, die Ökologie-, die Frauen– oder die Schwulen- und Lesbenbewegungen. Sie alle entwickelten neue Bildmotive, fotografische Praktiken und Gebrauchsweisen, die zur Mobilisierung, Dokumentation und Erinnerung des Protests eingesetzt wurden. In den letzten Jahren verlagerte sich der fotografische Protest ins Internet und in die sozialen Medien.

Dieses Themenheft untersucht, welche Rolle die Fotografie innerhalb der Protestbewegung spielte und spielt. Autorinnen und Autoren aus Kunst-, Kultur- und Mediengeschichte, Kulturanthropologie und Soziologie spannen den Bogen von der Protestkultur der 1970er Jahre bis zum Online-Aktivismus der Gegenwart.

Information und Bestellung: http://www.fotogeschichte.info/

Fotogeschichte auf Facebook: https://www.facebook.com/FotogeschichteZeitschrift/

BEITRÄGE

Simon Teune: Zwischen Ereignis und Erinnerung. Zur fotografischen Produktion der Anti- Atomkraftbewegung

Susanne Regener, Dorna Safaian: Lebenswelten als Protest. Fotografische Praktiken der deutschen und dänischen Schwulenbewegung seit den 1970er Jahren

Ullrich Keller: „Das wollen wir alles zeigen“. Zur Rolle der Fotografie in der DDR- Oppositionsbewegung

Kathrin Fahlenbrach: Fotografie als Protestmedium: Expressive Foto-Praktiken im Online-Aktivismus

Wolfgang Ullrich: Symmetriezwang und Differenzangst. Zur Protest-Ikonografie der Identitären Bewegung

Klaus Schönberger: Protest-Selfies als Artikulation des Gemeinsamen

Das vollständige Inhaltsverzeichnis findet sich auf der Webseite der Zeitschrift Fotogeschichte.

Titelbild: Anonym: Christopher Street Day, Bremen, 30. Juni 1979, Privatarchiv Rüdiger Lautmann

Panel bei der ipb-Jahrestagung „Mobilisierende Bilder“

Die Jahrestagung des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung fand im November 2019 unter der Überschrift „HASHTAGS TWEETS PROTEST Soziale Bewegungen im digitalen Zeitalter“ statt. Aus der Vernetzung im Rahmen des Projekts „Bilder der Empörung“ entstand die Idee für das Panel „Mobilisierende Bilder. Wie soziale Bewegungen visuelle Onlinemedien nutzen“, um die interdisziplinär Forschungsansätze in dem Themenfeld zusammenzuführen.

Startseite von Castor.de (2019)

Zuerst stelte Simon Teune in einer diachronen Analyse die Entwicklung der digitalen Bildnutzung während der Proteste gegen Castor-Transporte dar. An der medialen Begleitung der alljährlichen Protesten von 1995 bis 2011, die mit der Entwicklung des Internets vom 28K-Modem bis Instagram zusammenfällt, lässt sich die kreative Aneignung neuer technologischer Möglichkeiten beobachten. Während in der frühen Phase die Entwicklung eigener Formate wie Indymedia oder der Castorticker im Vordergrund stand und Bilder wegen der eingeschränkten Übertragungsrate nur begrenzt eingesetzt wurden, spielen in jüngerer Zeit kommerzielle Plattformen (Flickr, Facebook, Twitter und Instagram) bei der Verbreitung von Bildern eine größere Rolle und spezifische Online-Formate wie Protest-Selfies und Sharepics werden.

Standbild aus dem Augenzeugenvideo vom Tod Eric Garners (2014)

Im Anschluss stellten Chris Tedjasukmana, Britta Hartmann und Jens Eder ihr Projekt „Aufmerksamkeitsstrategien des Videoaktivismus im Social Web“ vor. Das Projekt kartiert über Social Media verbreitete Videos, die Teil von politischen Interventionen sind oder werden. Von Augenzeugenvideos, die die Proteste von #BlackLivesMatter befeuerten, bis zu mit großem Budget produzierten Kampagnenvideos großer NGOs sind solche Videos eingebettet in von Algoritmen gesteuerte digitale Öffentlichkeiten. Wie Aktivist*innen die Videos herstellen und verbreiten, welche filmischen Narrative und Techniken eingesetzt werden, richtet sich stark an dem Ziel der Maximierung von Aufmerksamkeit aus.

Das Foto von Jonathan Bachman, das Iesha Evans bei einem Protest gegen Polizeigewalt zeigt, wird adaptiert (2016)

Kathrin Fahlenbrach reflektierte im abschließenden Beitrag die veränderten Bedinungen, die digitale Kulturen für die Entstehung von Protestikonen darstellen. Dabei spielt die Eigentätigkeit und Kreativität einzelner User*innen eine wachsende Rolle. In der Vergangenheit war die Entstehung von Protestikonen stark an lineare Medien gebunden, die von professionellen Fotograf*innen aufgenommene Porträts – etwa das Foto Ché Guevaras von Alberto Korda – verbreiteten. Auch heute sind Protestikonen nach wie vor in erster Linie die Arbeiten von Pressefotograf*innen. Die Verbreitung solcher Bilder, ihre  Kommentierung und Adaption wird aber durch digitale Bildbearbeitung und soziale Medien demokratisiert. Die symbolische und affektive Aufladung wird dabei in online communities vorangetrieben.

Der brennende Planet – Zur Rolle von Bildern bei den Klimaprotesten

Mit dem enorm-Magazin hat Simon Teune über die jüngsten Klimaproteste gesprochen. Unter anderem ging es um die Rolle von Bildern für die Mobilisierung der Fridays for Future:

Protestforscher Teune hat diese „Bilder der Empörung“ untersucht. Wo die Anti-AKW-Protestler mit Totenköpfen und Giftsymbolen und Schutzanzügen auf die Bedrohung der Menschheit durch militärische und zivile Atomkraft aufmerksam machen wollten, stellt FFF die Erde als brennenden Ball dar, als fiebrigen Patienten, der Beistand bedarf. Teune: „Die Bilder transportieren die Botschaft, belegen die Legitimation des Protestes und sind ein wichtiger Moment der Selbstvergewisserung“ – ich bin nicht allein, wir sind viele. „Sie sind ein zentrales Vehikel, um den Protest dauerhaft aufrecht zu erhalten.“

Der ganze Beitrag in Heft 5/2019 ist hier als pdf-Datei zu finden.

Bilder der Klimagerechtigkeitsbewegung

In einem Interview mit dem Deutschlandradio Kultur am 8. Oktober 2019 ordnete Simon Teune die Bildsprache der Klimagerechtigkeitsbewegung ein.  Das ganze Interview ist hier zu hören:

Im Folgenden sind die zentralen Aussagen im Interview zusammengefasst:

Wirkung von Bildern

Bilder sind für Protestbewegungen zentrale Medien, um Botschaften zu transportieren. Mit Bildern kann man Aufmerksamkeit erzeugen, ein Problem definieren und Emotionen formen. Die Fahnen mit dem Symbol von Extinction Rebellion sind dafür ein gutes Beispiel. Sie machen neugierig: was bedeutet dieses Symbol, das jetzt überall zu sehen ist? Sie bieten eine Problemdeutung an: das X im Kreis steht für Sanduhr und Erde. Das sagt uns: die Zeit läuft ab. Die Erde, wie wir sie kennen, ist in Gefahr, ausgelöscht, ausgekreuzt zu werden. Damit klingt auch der emotionale Gehalt des Symbols an: es bringt die Angst vor der unbewohnbaren Erde zum Ausdruck.

Bilder haben auch die Funktion, den Protest zu bezeugen. Sie sollen zeigen: der Protest hat stattgefunden. Er hat viele Menschen bewegt. Wenn Bewegungen Bilder von Menschenmassen schaffen, wirkt das in zwei Richtungen: nach außen geht es darum, Druck auf Entscheider aufzubauen und nach innen darum zu zeigen: wir sind viele.

Bildtraditionen

Bilder haben eine Wirkung, weil sie an ein visuelles Wissen anschließen. Wir verbinden etwas mit ihnen, weil wir etwas wiedererkennen. Auch die Klimabewegung nutzt dieses Bildwissen. Auf den Plakaten bei den Fridays for Future sieht man z.B. häufig Darstellungen der Erde. Sie zeigen den Horizont des Problems an: Es geht bei der Klimakrise ums Ganze. Wird die Erde z.B. mit Thermometer im Mund gezeigt, haben Betrachter*innen die Analogie zu Krankheit im Kopf: erhöhte Temperatur bedeutet Gefahr! Und zwar für alle, die auf dem Planeten leben.

Das Bildwissen, das soziale Bewegungen in ihren Inszenierungen nutzen, hat eine lange Geschichte, das z.T. bis in die christliche Ikonographie oder in die griechische Mythologie zurückreicht. Viele dieser Bilder schließen auch an frühere Bewegungen an. Für die Klimabewegung ist die Umwelt- und die Antiatombewegung ein zentraler Bezugspunkt. Auch in diesen Bewegungen gab es sehr bedrohliche, an historische Traditionen anknüpfende Bilder von Zerstörung und Vergiftung, z.B. eine starke Bildsprache der Todesdrohung: Skelette, Kreuze, verwüstete Landschaften, bedrohte Tiere.

Ein Element, das in den 1980er Jahren in der Antiatom-Bewegung eine deutlich wichtigere Rolle gespielt hat, heute aber kaum auftaucht, ist die Personalisierung, die Überzeichnung von Politikern und Unternehmern als verantwortungslos und geldgierig, z.B. der Politiker, der von Konzerninteressen ferngesteuert wird. Als der Konflikt dann an einzelnen Atomstandorten eskaliert (in Brokdorf, Gorleben, Wackersdorf), wird auch die Polizei ein wichtiger Bezugspunkt. Polizisten erscheinen als düstere Erfüllungsgehilfen von wirtschaftlichen Interessen. Der Polizeihelm verschwimmt etwa in einer Karikatur mit einer Reaktorkuppel. Daneben findet sich die Gegenüberstellung von fröhlichen und entschlossenen Umweltschützer*innen auf der einen Seite und gesichtslosen Uniformträgern auf der anderen Seite. Das finden wir heute in der Klimabewegung -zumindest noch- nicht.

Bilder als Medien

Bilder sind nicht einfach da und sie haben auch keine fixe Bedeutung, sondern sie erlangen Bedeutung dadurch, wie sie in Umlauf gebracht und kommentiert werden. In den 1980er Jahren hat man zum Beispiel Fotos von Protestaktionen auf Wandzeitungen geklebt und in den Innenstädten ausgestellt. Da stellt sich die Frage: welche Fotos werden ausgewählt? Welche Textbotschaften werden dazu geliefert? Das sind die Mittel, mit denen die Aktivist*innen selbst das Bild der Proteste bestimmen wollten.

Heute haben wir eine ganz neue Situation: eine Ausweitung der Möglichkeiten, Bilder herzustellen und zu verbreiten. Eine Aktion wie der Klimastreik am 20. September wird über zehntausende Fotos mit der Smartphonekamera in Echtzeit dokumentiert und dann vor allem über soziale Medien und Messengerdienste verbreitet. So werden Bilder aus aller Welt verfügbar, sie werden zusammen verbreitet, um die Größe und die globale Dimension der Proteste vor Augen zu führen.

Die digitale Verbreitung und die Möglichkeiten der Bildbearbeitung machen es aber auch leichter, Bilder zu entwenden und umzudeuten. So tauchen z.B. unvorteilhafte Bilder von Greta Thunberg in rechtsradikalen Memes auf. Sie werden so gedeutet, dass Greta als ferngesteuert und nicht zurechnungsfähig erscheint. Insofern haben digitale Medien Konflikte auch auf der Ebene der Bilder zugespitzt.

Bilder und Journalismus

Protestbewegungen gestalten ihren Protest so, dass er starke Bilder erzeugt. Dabei geht es auch darum, den Protest als Nachricht interessant zu machen und Journalist*innen anzusprechen – durch die Motive, die Ortswahl und auch durch das Timing. Der Journalismus ist ein zentraler Multiplikator, mit dem man seine Botschaft verbreiten kann. Wenn ein Bild eindrücklich ist, eine Botschaft auf den Punkt bringt und in die Nachrichtenkonjunktur passt, dann stehen die Chancen gut, dass es auch verbreitet wird. Unter Umständen wird es auch zur Bildikone, die stellvertretend für eine ganze Bewegung steht. Das Bild von Greta Thunberg vor dem schwedischen Parlament hat dieses Potenzial.

Foto: Aktion von Extinction Rebellion am 24.11.2018 in London. Fotograf: Steve Eason (cc-by-nc-sa, via Flickr)

Bilder der Empörung bei der Tagung „Auf die Straße! Protest in Deutschland“

Auf Einladung der Bundeszentrale für politische Bildung brachten Dorna Safaian und Simon Teune ihre Forschungsperspektive in die Fachtagung „Auf die Straße! Protest in Deutschland“ ein, die am 17. und 18. Juni in Hamburg stattfand. Mit mehr als 200 Teilnehmenden bezeichnete der Protestforscher Dieter Rucht die Tagung in seinem einleitenden Vortrag als die bislang größte zu dem Thema im deutschsprachigen Raum.

Die Podiumsdiskussion „Ein Wechselspiel – Medien und Protest“ mit Marcus Bornheim (stv. Chefredakteur der Tagesschau), Michael Hopf (Greenpeace) und Simon Teune (TU Berlin | Institut für Protest- und Bewegungsforschung) lenkte am ersten Konferenztag den Blick auf die zentrale Rolle von kommerziellen und öffentlich-rechtlichen Medien für die öffentliche Wahrnehmung von Protest. Erst über Beiträge im Radio, im Fensehen, in Tageszeitungen und deren Online-Plattformen nehmen die meisten Menschen Proteste wahr. Dabei entscheiden journalistische Kritierien darüber, welcher Protest sichtbar wird und welche Aspekte hervorgehoben werden. Nur eine einstellige Prozentzahl der Proteste findet so den Weg in die nationale Berichterstattung. Marcus Bornheim unterstrich, dass Proteste mit anderen Nachrichtenereignissen in Konkurrenz stünden und in der Konkurrenz um den begrenzten Raum nur dann berücksichtigt würden, wenn sie mit Nachrichtenwerten wie Größe, Konfliktpotenzial oder Neuheit versehen seien. Inwiefern die Kriterien von Journallist*innen auch die Arbeit der Protestakteure beeinflussen, zeigt das Beispiel Greenpeace. Einzelne Aktionen der Umweltorganisation werden so geplant, dass sie z.B. durch spektakuläre Bilder den journalistischen Bedarf decken, einen Konflikt darzustellen. Michael Hopf betonte dabei allerdings, dass die Themenauswahl von Greenpeace sich nicht an der Verwertbarkeit in den Medien orientiere. Viele Formen der Kommunikation liefen an den Medien vorbei, z.B. in der direkten kommunikation mit Mitgliedern und Ortsgruppen. Die Bilder seien vor allem eine Gelegenheit, um alternatives Wissen in breitere Diskurse einzuspeisen. an Die Moderatorin Nalan Sipar (Deutsche Welle) führte die Diskussion immer wieder auf konkrete Ereignisse zurück. So wurde der Erfolg der Klimastreiks der Fridays for Future unter anderem damit erklärt, dass sie mit der Aktionsform und der Vorbildfigur Greta Thunberg eine gut zu erzählende Geschichte geboten hätten, die das Thema des Klimawandels und die Dringlichkeit politischen Handelns auch auf die Agenda der Redaktionen gesetzt hätte. Am Beispiel der G20-Proteste in Hamburg 2017 problematisierte Simon Teune den Tunnelblick in der Berichterstattung, der im Effekt dazu führte, dass die Bilder von brennenden Autos und steinewerfenden Vermummten andere Formen des Protestes verdrängt hätten. Diese Fokussierung sei auch dadurch zustande gekommen, dass die Deutung der Polizei, die die Proteste in erster Linie als Sicherheitsrisiko darstellte, von zahlreichen Medien übernommen worden sei.
Mit dem Keynote-Vortrag „Ästhetik des Protests“ leitete Dorna Safaian (Universität Siegen) den zweiten Tag ein. Sie erklärte verschiedene Dimensionen des sinnlich wahrnehmbaren Protestes am Beispiel des Rosa Winkels, dem Symbol der Schwulenbewegung der 1970er Jahre. Symbole wie der ursprünglich in KZ als Kennzeichnung homosexueller Häftlinge verwendete und von der Homosexuellen Aktion Westberlin als Erkennungszeichen eingeführte Rosa Winkel werden im Handeln der Protestierenden mit Bedeutung und Emotionen aufgeladen. Sie haben die Funktion, Konfliktlinien zu markieren und sowohl nach außen, wie auch innerhalb von Bewegungen greifbar zu machen. So wurde der Rosa Winkel eingeführt, um gegenüber anderen Protestbewegungen eine eigene Bildsprache zu entwickeln und für die Gruppe der Schwulen über die erlittene Repression eine kollektive Identität zu bestärken. Relevant werden Protestmedien im Gebrauch, sei es bei Protestereignissen oder im Alltag. Der Rosa Winkel wurde in der Öffentlichkeit als Kennzeichen der Schwulen präsentiert – auf Plakaten und mit Ansteckern getragen. Das Zeigen des Symbols wurde aber auch als eine symbolische Handlung zur Überwindung der eigenen Angst verstanden, insofern sind Protestmedien immer auch mit kollektiven emotionalen Praktiken, also in Gemeinschaft entstehenden und empfundenen Gefühlen, verbunden.
Im Panel „Plakate, Transparente, Trillerpfeifen. Inszenierungsformen von Protest“ leiteten Lisa Bogerts und Simon Teune (beide Institut für Protest- und Bewegungsforschung) die Diskussion ein. Simon Teune verwies darauf, dass Protestformen nicht völlig frei gewählt würden, sondern im Verhältnis zu verschiedenen Akteuren zu verstehen seien. Die Reaktion von Regierenden, Journalist*innen und Polizei würden mit Vorgaben und Reaktionen auf Protest die Wahl von Protestformen mit prägen. In sozialen Bewegungen gäbe es parallele Aktionsrepertoires, bei denen die verschiedenen Protestmilieus unterschiedliche Grenzen setzten und über Bilder und Sprache Korridore des erwünschten Protestes definierten. Die Diskussion fokussierte auf die Rolle und Entstehung von Protestsymbolen. Ob sich für eine Bewegung ein Symbol herausbildet und wie dieser Prozess aussieht, wurde am Beispiel der jüngsten Klimaproteste und Pulse of Europe diskutiert. 

Podiumsdiskussion zu visuellen Strategien der Neuen Rechten

Um Ergebnisse der Forschung zur Bildsprache der völkischen Bewegung zu diskutieren, nutzt das Projekt das Format der Bewegungsgespräche, einer Veranstaltungsreihe, die von der Tageszeitung taz, dem Forschungsjournals Soziale Bewegungen und dem Institut für Protest- und Bewegungsforschung getragen wird.

Ort: taz Kantine, Friedrichstraße 21
Zeit: 12. Juni 2019, 19 Uhr

Memes, die Geflüchtete als Bedrohung zeichnen, Ikonen der Popkultur, die für rassistische Politik vereinnahmt werden – die Rechte hat sich nicht nur auf der Straße und in der Parteienlandschaft neu aufgestellt, sondern sie hat auch ihre Bildsprache geändert. AfD, organisierte Neonazis und lose Netzwerke nutzen gezielt Bilder und visuelle Gestaltung, um Unterstützung für ihre Botschaften zu finden. Dabei bedienen sie sich digitaler Kulturen und sie entwenden Formen, die für progressive Politik standen. Die Aktionen der Identitären sind bewusst an das von Greenpeace perfektionierte David-gegen-Goliath-Motiv angelehnt; die rassistische Umdeutung von Pepe, dem Comicfrosch, ist auch ein Symbol für das Überlegenheitgefühl gegenüber den aufgeregten Reaktionen auf die neue rechte Hegemonie. Diese visuellen Strategien bauen auf einer neuen technischen Infrastruktur auf: Smartphones, soziale Medien, Imageboards und Messenger-Dienste. Aber sie wurzeln auch tief in menschenverachtender Bildsprache: in antisemitischen Stereotypen, die im späten 19. Und frühen 20 Jahrhundert geprägt wurden oder dem gigantomanischen Kitsch des Nationalsozialismus. Das Bewegungsgespräch fragt nach den Strategien und Andockmanövern zur Populärkultur durch die Rechten, beleuchtet die veränderten Bedingungen für die Kommunikation mit Bildern von rechts, die erhofften Wirkungen und mögliche Gegenstrategien.

Es diskutieren:

  • Lisa Bogerts, Institut für Protest- und Bewegungsforschung
  • Heiko Koch, Antifa-Rechercheur, Autor des Buches „Casa Pound Italia“ (Unrast 2013)
  • Simon Teune, DFG-Projekt „Bilder der Empörung“, TU Berlin, Institut für Protest- und Bewegungsforschung

Moderation: Malene Gürgen, taz

Die Veranstaltenden behalten sich vor, von ihrem Hausrecht Gebrauch zu machen und Personen, die rechtsextremen Parteien oder Organisationen angehören, der rechtsextremen Szene zuzuordnen sind oder bereits in der Vergangenheit durch rassistische, nationalistische, antisemitische oder sonstige menschenverachtenden Äußerungen in Erscheinung getreten sind, den Zutritt zur Veranstaltung zu verwehren oder von dieser auszuschließen.

Projektworkshop: Bilder und Emotionen

Mit einem interdisziplinären Projektworkshop schärfte das Projektteam zusammen mit Kolleg*innen aus der Geschichtswissenschaft, der Medienwissenschaft und der Kunstgeschichte den Blick auf den Zusammenhang von Emotionen und Bildern. An Beispielen aus dem Projektarchiv und Bildern die in der Arbeit der eingeladenen Kolleg*innen eine Rolle spielen, diskutierte der Kreis die komplexe Überlagerung verschiedener Analyseebenen.

Mit dem Projektteam diskutierten im Workshop:

  • Kathrin Fahlenbrach, Professorin für Medienwissenschaft an der Universität Hamburg, die bislang sowohl zu Medienstrategien sozialer Bewegungen („Protestinszenierungen“ Westdeutscher Verlag, 2002) als auch zu Emotionen in fiktionalen audiovisuellen Medien („Audiovisuelle Metaphern“ Schüren-Verlag, 2010) forschte, stellte erste Analysen zu Memes der identitären Bewegung vor. Sie vertrat die These, dass diese Memes durch Bildgestaltung und sprachliche Rahmung sowohl intuitiv als auch bewusst moralische Emotionen wie Empörung, Verachtung und sozialen Ekel bei Betrachtern evozieren sollen.
  • Uffa Jensen, Professor am Zentrum für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin, der in emotionshistorischer Perspektive unter anderem zu „Zornpolitik“ (Suhrkamp, 2017) publizierte und zurzeit die Sammlung Langermann mit 10.000 antisemitischen Bildern dauerhaft in ein Archiv überführt. An einer Zeichnung und einer Karikatur stellte Jensen die Typologisierung des „Juden“ Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts vor und verwies auf die zentrale Rolle des Ekels in der Rezeption dieser Bilder.
  • Charlotte Klonk, Professorin für Kunst und Medien an der Humboldt-Universität Berlin („Terror. Wenn Bilder zu Waffen werden“ Fischer, 2017), zeigte am Beispiel der Fotografie „Falling Man“ von Richard Drew, wie Bilder das kollektive Imaginäre des Terrors repräsentieren und dabei, spezifisches Wissen und Nähe zum Ereignis vorausgesetzt, mit einem emotionalen Überschuss gelesen werden.
  • Jan Plamper, Professor für Geschichte am Goldsmith College („Geschichte und Gefühl“ Siedler, 2012), knüpfte an die Analyse antisemitischer Bildsprache an. Er argumentierte, dass sich die antieuropäische Kampagne der ungarischen Regierung, die Investor George Soros im Rücken des EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker zeigt, dieses Bildwissen in subtiler Form aufruft.

Vom Gorleben-Treck zu den Fridays for Future

In einem Interview mit Radio Bremen 2 erinnerte Simon Teune an die Motivation der frühen Anti-AKW-Bewegung in Gorleben und an die Bedeutung, die der Standort für den Konflikt gewonnen hat.

Gorleben und die Frage der Entsorgung standen irgendwann stellvertretend für alle Probleme dieser Technologie und des ganzen Atomprogramms.

Durch den kontinuierlichen Protest gegen das geplante Endlager und die Castor-Transporte hat das Wendland viele Atomkraftgegner*innen dauerhaft angezogen.

Das hat die Region und die politische und kulturelle Landkarte dort stark verändert.

Die Proteste der 1970er Jahre wirken bis heute nach. Durch die Gründung der grünen Partei und die Belebung von Umweltverbänden ist eine starke Infrastruktur entstanden, aus der heraus gesellschaftliche Veränderungen hin zu einer klimagerechten und nachhaltigen Zukunft einfordert werden. Diese Koalitionspartner versetzen auch die gegenwärtigen Klimaproteste von Schüler*innen und Studierenden in eine gute Ausgangsposition, um für ihre Forderungen nach einer radikal anderen Klimapolitik Gehör zu bekommen.

Das ganze Interview ist hier zu hören:

40 Jahre Gorleben-Treck, Radio Bremen 2, 25. März 2019

Abbildung: Ausschnitt aus dem Plakat „Niedersachsenpferd“ (1979), Gorleben Archiv e.V. 10-PLA-1-0001

Mobilisierende Heimatbilder

Auf der Jahrestagung  des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung am 9. und 10. November 2018 an der der TU Berlin stellte Simon Teune Ergebnisse aus der Forschung zu Bildern in der Anti-AKW-Bewegung vor, die sich in das Tagungsthema „Der Kontext lokaler Proteste“ einfügen. Als eine Bewegung, deren Konflikt- und Mobilisierungsstruktur stark durch die einzelnen Standorte bestimmt wird, an denen atomare Infrastruktur geplant und errichtet wird, spielen regionale Bezüge auch in der Bildsprache eine wichtige Rolle.

Foto einer frühen Kundgebung gegen das AKW Wyhl, Fotograf*in unbekannt, aus „Wyhl: kein Kernkraftwerk in Wyhl und auch sonst nirgends. Betroffene Bürger berichten“ (Inform-Verlag 1976), S. 32

Auch wenn der Begriff „Heimat“ nur im Konflikt um das geplante Atomkraftwerk in Wyhl offensiv genutzt wird, sind positive Bezüge zur Region, zur jeweiligen Kulturlandschaft und Traditionen der Widerständigkeit wichtige Mobilisierungsmomente. Die Ortsnamen Wyhl, Gorleben, Brokdorf und Wackersdorf werden zu Bezugspunkten einer gemeinsamen Identität. In den Plakaten der Anti-AKW-Bewegung sind die Regionen vor allem durch Bilder von der Landschaft und Landwirtschaft, durch Fachwerkhäuser und als Landbevölkerung markierte Protagonist*innen präsent. Diesen positiven Bildern wird in dystopischen Szenarien die Bedrohung durch nukleare Infrastruktur und diejenigen, die ihre Einrichtung befürworten entgegengesetzt. Zugleich werden Szenen des Protestes mit der Region identifiziert, so dass sich das Bild einer widerständigen Heimat verdichtet. Die Atomkraftgegner*innen und ihre Aktionen stellen sich, wie im Titelbild der atomaren Katastrophe entgegen und schützen so Tiere, Natur und die regionale Kultur.

Titelbild: Ausschnitt aus dem Plakat „Alarm in Gorleben“ (1977), Gorleben Archiv e.V., 10-PLA-1-0039

Podiumsdiskussion: Berlin, Stadt des Protests

Auf Einladung der Gedenkstätte Berliner Mauer diskutierte Simon Teune am 31. Oktober 2018 mit Philipp Gassert und  Elke Kimmel über den prägenden Einfluss von Protesten auf die Geschichte Berlins. Entlang der Jahre 1948, 1968 und 1988, also der Proteste gegen die fortschreitende Teilung Deutschlands, der Studendenbewegung und der DDR-Bürgerrechtsbewegung, diskutierte das Podium über die Rolle von Protest und die Bilder, die an ihn erinnern.

Abbildung: Einladungskarte der Veranstaltung