Bilder der Klimagerechtigkeitsbewegung

In einem Interview mit dem Deutschlandradio Kultur am 8. Oktober 2019 ordnete Simon Teune die Bildsprache der Klimagerechtigkeitsbewegung ein.  Das ganze Interview ist hier zu hören:

Im Folgenden sind die zentralen Aussagen im Interview zusammengefasst:

Wirkung von Bildern

Bilder sind für Protestbewegungen zentrale Medien, um Botschaften zu transportieren. Mit Bildern kann man Aufmerksamkeit erzeugen, ein Problem definieren und Emotionen formen. Die Fahnen mit dem Symbol von Extinction Rebellion sind dafür ein gutes Beispiel. Sie machen neugierig: was bedeutet dieses Symbol, das jetzt überall zu sehen ist? Sie bieten eine Problemdeutung an: das X im Kreis steht für Sanduhr und Erde. Das sagt uns: die Zeit läuft ab. Die Erde, wie wir sie kennen, ist in Gefahr, ausgelöscht, ausgekreuzt zu werden. Damit klingt auch der emotionale Gehalt des Symbols an: es bringt die Angst vor der unbewohnbaren Erde zum Ausdruck.

Bilder haben auch die Funktion, den Protest zu bezeugen. Sie sollen zeigen: der Protest hat stattgefunden. Er hat viele Menschen bewegt. Wenn Bewegungen Bilder von Menschenmassen schaffen, wirkt das in zwei Richtungen: nach außen geht es darum, Druck auf Entscheider aufzubauen und nach innen darum zu zeigen: wir sind viele.

Bildtraditionen

Bilder haben eine Wirkung, weil sie an ein visuelles Wissen anschließen. Wir verbinden etwas mit ihnen, weil wir etwas wiedererkennen. Auch die Klimabewegung nutzt dieses Bildwissen. Auf den Plakaten bei den Fridays for Future sieht man z.B. häufig Darstellungen der Erde. Sie zeigen den Horizont des Problems an: Es geht bei der Klimakrise ums Ganze. Wird die Erde z.B. mit Thermometer im Mund gezeigt, haben Betrachter*innen die Analogie zu Krankheit im Kopf: erhöhte Temperatur bedeutet Gefahr! Und zwar für alle, die auf dem Planeten leben.

Das Bildwissen, das soziale Bewegungen in ihren Inszenierungen nutzen, hat eine lange Geschichte, das z.T. bis in die christliche Ikonographie oder in die griechische Mythologie zurückreicht. Viele dieser Bilder schließen auch an frühere Bewegungen an. Für die Klimabewegung ist die Umwelt- und die Antiatombewegung ein zentraler Bezugspunkt. Auch in diesen Bewegungen gab es sehr bedrohliche, an historische Traditionen anknüpfende Bilder von Zerstörung und Vergiftung, z.B. eine starke Bildsprache der Todesdrohung: Skelette, Kreuze, verwüstete Landschaften, bedrohte Tiere.

Ein Element, das in den 1980er Jahren in der Antiatom-Bewegung eine deutlich wichtigere Rolle gespielt hat, heute aber kaum auftaucht, ist die Personalisierung, die Überzeichnung von Politikern und Unternehmern als verantwortungslos und geldgierig, z.B. der Politiker, der von Konzerninteressen ferngesteuert wird. Als der Konflikt dann an einzelnen Atomstandorten eskaliert (in Brokdorf, Gorleben, Wackersdorf), wird auch die Polizei ein wichtiger Bezugspunkt. Polizisten erscheinen als düstere Erfüllungsgehilfen von wirtschaftlichen Interessen. Der Polizeihelm verschwimmt etwa in einer Karikatur mit einer Reaktorkuppel. Daneben findet sich die Gegenüberstellung von fröhlichen und entschlossenen Umweltschützer*innen auf der einen Seite und gesichtslosen Uniformträgern auf der anderen Seite. Das finden wir heute in der Klimabewegung -zumindest noch- nicht.

Bilder als Medien

Bilder sind nicht einfach da und sie haben auch keine fixe Bedeutung, sondern sie erlangen Bedeutung dadurch, wie sie in Umlauf gebracht und kommentiert werden. In den 1980er Jahren hat man zum Beispiel Fotos von Protestaktionen auf Wandzeitungen geklebt und in den Innenstädten ausgestellt. Da stellt sich die Frage: welche Fotos werden ausgewählt? Welche Textbotschaften werden dazu geliefert? Das sind die Mittel, mit denen die Aktivist*innen selbst das Bild der Proteste bestimmen wollten.

Heute haben wir eine ganz neue Situation: eine Ausweitung der Möglichkeiten, Bilder herzustellen und zu verbreiten. Eine Aktion wie der Klimastreik am 20. September wird über zehntausende Fotos mit der Smartphonekamera in Echtzeit dokumentiert und dann vor allem über soziale Medien und Messengerdienste verbreitet. So werden Bilder aus aller Welt verfügbar, sie werden zusammen verbreitet, um die Größe und die globale Dimension der Proteste vor Augen zu führen.

Die digitale Verbreitung und die Möglichkeiten der Bildbearbeitung machen es aber auch leichter, Bilder zu entwenden und umzudeuten. So tauchen z.B. unvorteilhafte Bilder von Greta Thunberg in rechtsradikalen Memes auf. Sie werden so gedeutet, dass Greta als ferngesteuert und nicht zurechnungsfähig erscheint. Insofern haben digitale Medien Konflikte auch auf der Ebene der Bilder zugespitzt.

Bilder und Journalismus

Protestbewegungen gestalten ihren Protest so, dass er starke Bilder erzeugt. Dabei geht es auch darum, den Protest als Nachricht interessant zu machen und Journalist*innen anzusprechen – durch die Motive, die Ortswahl und auch durch das Timing. Der Journalismus ist ein zentraler Multiplikator, mit dem man seine Botschaft verbreiten kann. Wenn ein Bild eindrücklich ist, eine Botschaft auf den Punkt bringt und in die Nachrichtenkonjunktur passt, dann stehen die Chancen gut, dass es auch verbreitet wird. Unter Umständen wird es auch zur Bildikone, die stellvertretend für eine ganze Bewegung steht. Das Bild von Greta Thunberg vor dem schwedischen Parlament hat dieses Potenzial.

Foto: Aktion von Extinction Rebellion am 24.11.2018 in London. Fotograf: Steve Eason (cc-by-nc-sa, via Flickr)

Bilder der Empörung bei der Tagung „Auf die Straße! Protest in Deutschland“

Auf Einladung der Bundeszentrale für politische Bildung brachten Dorna Safaian und Simon Teune ihre Forschungsperspektive in die Fachtagung „Auf die Straße! Protest in Deutschland“ ein, die am 17. und 18. Juni in Hamburg stattfand. Mit mehr als 200 Teilnehmenden bezeichnete der Protestforscher Dieter Rucht die Tagung in seinem einleitenden Vortrag als die bislang größte zu dem Thema im deutschsprachigen Raum.

Die Podiumsdiskussion „Ein Wechselspiel – Medien und Protest“ mit Marcus Bornheim (stv. Chefredakteur der Tagesschau), Michael Hopf (Greenpeace) und Simon Teune (TU Berlin | Institut für Protest- und Bewegungsforschung) lenkte am ersten Konferenztag den Blick auf die zentrale Rolle von kommerziellen und öffentlich-rechtlichen Medien für die öffentliche Wahrnehmung von Protest. Erst über Beiträge im Radio, im Fensehen, in Tageszeitungen und deren Online-Plattformen nehmen die meisten Menschen Proteste wahr. Dabei entscheiden journalistische Kritierien darüber, welcher Protest sichtbar wird und welche Aspekte hervorgehoben werden. Nur eine einstellige Prozentzahl der Proteste findet so den Weg in die nationale Berichterstattung. Marcus Bornheim unterstrich, dass Proteste mit anderen Nachrichtenereignissen in Konkurrenz stünden und in der Konkurrenz um den begrenzten Raum nur dann berücksichtigt würden, wenn sie mit Nachrichtenwerten wie Größe, Konfliktpotenzial oder Neuheit versehen seien. Inwiefern die Kriterien von Journallist*innen auch die Arbeit der Protestakteure beeinflussen, zeigt das Beispiel Greenpeace. Einzelne Aktionen der Umweltorganisation werden so geplant, dass sie z.B. durch spektakuläre Bilder den journalistischen Bedarf decken, einen Konflikt darzustellen. Michael Hopf betonte dabei allerdings, dass die Themenauswahl von Greenpeace sich nicht an der Verwertbarkeit in den Medien orientiere. Viele Formen der Kommunikation liefen an den Medien vorbei, z.B. in der direkten kommunikation mit Mitgliedern und Ortsgruppen. Die Bilder seien vor allem eine Gelegenheit, um alternatives Wissen in breitere Diskurse einzuspeisen. an Die Moderatorin Nalan Sipar (Deutsche Welle) führte die Diskussion immer wieder auf konkrete Ereignisse zurück. So wurde der Erfolg der Klimastreiks der Fridays for Future unter anderem damit erklärt, dass sie mit der Aktionsform und der Vorbildfigur Greta Thunberg eine gut zu erzählende Geschichte geboten hätten, die das Thema des Klimawandels und die Dringlichkeit politischen Handelns auch auf die Agenda der Redaktionen gesetzt hätte. Am Beispiel der G20-Proteste in Hamburg 2017 problematisierte Simon Teune den Tunnelblick in der Berichterstattung, der im Effekt dazu führte, dass die Bilder von brennenden Autos und steinewerfenden Vermummten andere Formen des Protestes verdrängt hätten. Diese Fokussierung sei auch dadurch zustande gekommen, dass die Deutung der Polizei, die die Proteste in erster Linie als Sicherheitsrisiko darstellte, von zahlreichen Medien übernommen worden sei.
Mit dem Keynote-Vortrag „Ästhetik des Protests“ leitete Dorna Safaian (Universität Siegen) den zweiten Tag ein. Sie erklärte verschiedene Dimensionen des sinnlich wahrnehmbaren Protestes am Beispiel des Rosa Winkels, dem Symbol der Schwulenbewegung der 1970er Jahre. Symbole wie der ursprünglich in KZ als Kennzeichnung homosexueller Häftlinge verwendete und von der Homosexuellen Aktion Westberlin als Erkennungszeichen eingeführte Rosa Winkel werden im Handeln der Protestierenden mit Bedeutung und Emotionen aufgeladen. Sie haben die Funktion, Konfliktlinien zu markieren und sowohl nach außen, wie auch innerhalb von Bewegungen greifbar zu machen. So wurde der Rosa Winkel eingeführt, um gegenüber anderen Protestbewegungen eine eigene Bildsprache zu entwickeln und für die Gruppe der Schwulen über die erlittene Repression eine kollektive Identität zu bestärken. Relevant werden Protestmedien im Gebrauch, sei es bei Protestereignissen oder im Alltag. Der Rosa Winkel wurde in der Öffentlichkeit als Kennzeichen der Schwulen präsentiert – auf Plakaten und mit Ansteckern getragen. Das Zeigen des Symbols wurde aber auch als eine symbolische Handlung zur Überwindung der eigenen Angst verstanden, insofern sind Protestmedien immer auch mit kollektiven emotionalen Praktiken, also in Gemeinschaft entstehenden und empfundenen Gefühlen, verbunden.
Im Panel „Plakate, Transparente, Trillerpfeifen. Inszenierungsformen von Protest“ leiteten Lisa Bogerts und Simon Teune (beide Institut für Protest- und Bewegungsforschung) die Diskussion ein. Simon Teune verwies darauf, dass Protestformen nicht völlig frei gewählt würden, sondern im Verhältnis zu verschiedenen Akteuren zu verstehen seien. Die Reaktion von Regierenden, Journalist*innen und Polizei würden mit Vorgaben und Reaktionen auf Protest die Wahl von Protestformen mit prägen. In sozialen Bewegungen gäbe es parallele Aktionsrepertoires, bei denen die verschiedenen Protestmilieus unterschiedliche Grenzen setzten und über Bilder und Sprache Korridore des erwünschten Protestes definierten. Die Diskussion fokussierte auf die Rolle und Entstehung von Protestsymbolen. Ob sich für eine Bewegung ein Symbol herausbildet und wie dieser Prozess aussieht, wurde am Beispiel der jüngsten Klimaproteste und Pulse of Europe diskutiert.