Bilder der Empörung bei der Tagung „Auf die Straße! Protest in Deutschland“

Auf Einladung der Bundeszentrale für politische Bildung brachten Dorna Safaian und Simon Teune ihre Forschungsperspektive in die Fachtagung „Auf die Straße! Protest in Deutschland“ ein, die am 17. und 18. Juni in Hamburg stattfand. Mit mehr als 200 Teilnehmenden bezeichnete der Protestforscher Dieter Rucht die Tagung in seinem einleitenden Vortrag als die bislang größte zu dem Thema im deutschsprachigen Raum.

Die Podiumsdiskussion „Ein Wechselspiel – Medien und Protest“ mit Marcus Bornheim (stv. Chefredakteur der Tagesschau), Michael Hopf (Greenpeace) und Simon Teune (TU Berlin | Institut für Protest- und Bewegungsforschung) lenkte am ersten Konferenztag den Blick auf die zentrale Rolle von kommerziellen und öffentlich-rechtlichen Medien für die öffentliche Wahrnehmung von Protest. Erst über Beiträge im Radio, im Fensehen, in Tageszeitungen und deren Online-Plattformen nehmen die meisten Menschen Proteste wahr. Dabei entscheiden journalistische Kritierien darüber, welcher Protest sichtbar wird und welche Aspekte hervorgehoben werden. Nur eine einstellige Prozentzahl der Proteste findet so den Weg in die nationale Berichterstattung. Marcus Bornheim unterstrich, dass Proteste mit anderen Nachrichtenereignissen in Konkurrenz stünden und in der Konkurrenz um den begrenzten Raum nur dann berücksichtigt würden, wenn sie mit Nachrichtenwerten wie Größe, Konfliktpotenzial oder Neuheit versehen seien. Inwiefern die Kriterien von Journallist*innen auch die Arbeit der Protestakteure beeinflussen, zeigt das Beispiel Greenpeace. Einzelne Aktionen der Umweltorganisation werden so geplant, dass sie z.B. durch spektakuläre Bilder den journalistischen Bedarf decken, einen Konflikt darzustellen. Michael Hopf betonte dabei allerdings, dass die Themenauswahl von Greenpeace sich nicht an der Verwertbarkeit in den Medien orientiere. Viele Formen der Kommunikation liefen an den Medien vorbei, z.B. in der direkten kommunikation mit Mitgliedern und Ortsgruppen. Die Bilder seien vor allem eine Gelegenheit, um alternatives Wissen in breitere Diskurse einzuspeisen. an Die Moderatorin Nalan Sipar (Deutsche Welle) führte die Diskussion immer wieder auf konkrete Ereignisse zurück. So wurde der Erfolg der Klimastreiks der Fridays for Future unter anderem damit erklärt, dass sie mit der Aktionsform und der Vorbildfigur Greta Thunberg eine gut zu erzählende Geschichte geboten hätten, die das Thema des Klimawandels und die Dringlichkeit politischen Handelns auch auf die Agenda der Redaktionen gesetzt hätte. Am Beispiel der G20-Proteste in Hamburg 2017 problematisierte Simon Teune den Tunnelblick in der Berichterstattung, der im Effekt dazu führte, dass die Bilder von brennenden Autos und steinewerfenden Vermummten andere Formen des Protestes verdrängt hätten. Diese Fokussierung sei auch dadurch zustande gekommen, dass die Deutung der Polizei, die die Proteste in erster Linie als Sicherheitsrisiko darstellte, von zahlreichen Medien übernommen worden sei.
Mit dem Keynote-Vortrag „Ästhetik des Protests“ leitete Dorna Safaian (Universität Siegen) den zweiten Tag ein. Sie erklärte verschiedene Dimensionen des sinnlich wahrnehmbaren Protestes am Beispiel des Rosa Winkels, dem Symbol der Schwulenbewegung der 1970er Jahre. Symbole wie der ursprünglich in KZ als Kennzeichnung homosexueller Häftlinge verwendete und von der Homosexuellen Aktion Westberlin als Erkennungszeichen eingeführte Rosa Winkel werden im Handeln der Protestierenden mit Bedeutung und Emotionen aufgeladen. Sie haben die Funktion, Konfliktlinien zu markieren und sowohl nach außen, wie auch innerhalb von Bewegungen greifbar zu machen. So wurde der Rosa Winkel eingeführt, um gegenüber anderen Protestbewegungen eine eigene Bildsprache zu entwickeln und für die Gruppe der Schwulen über die erlittene Repression eine kollektive Identität zu bestärken. Relevant werden Protestmedien im Gebrauch, sei es bei Protestereignissen oder im Alltag. Der Rosa Winkel wurde in der Öffentlichkeit als Kennzeichen der Schwulen präsentiert – auf Plakaten und mit Ansteckern getragen. Das Zeigen des Symbols wurde aber auch als eine symbolische Handlung zur Überwindung der eigenen Angst verstanden, insofern sind Protestmedien immer auch mit kollektiven emotionalen Praktiken, also in Gemeinschaft entstehenden und empfundenen Gefühlen, verbunden.
Im Panel „Plakate, Transparente, Trillerpfeifen. Inszenierungsformen von Protest“ leiteten Lisa Bogerts und Simon Teune (beide Institut für Protest- und Bewegungsforschung) die Diskussion ein. Simon Teune verwies darauf, dass Protestformen nicht völlig frei gewählt würden, sondern im Verhältnis zu verschiedenen Akteuren zu verstehen seien. Die Reaktion von Regierenden, Journalist*innen und Polizei würden mit Vorgaben und Reaktionen auf Protest die Wahl von Protestformen mit prägen. In sozialen Bewegungen gäbe es parallele Aktionsrepertoires, bei denen die verschiedenen Protestmilieus unterschiedliche Grenzen setzten und über Bilder und Sprache Korridore des erwünschten Protestes definierten. Die Diskussion fokussierte auf die Rolle und Entstehung von Protestsymbolen. Ob sich für eine Bewegung ein Symbol herausbildet und wie dieser Prozess aussieht, wurde am Beispiel der jüngsten Klimaproteste und Pulse of Europe diskutiert. 

Projektworkshop: Bilder und Emotionen

Mit einem interdisziplinären Projektworkshop schärfte das Projektteam zusammen mit Kolleg*innen aus der Geschichtswissenschaft, der Medienwissenschaft und der Kunstgeschichte den Blick auf den Zusammenhang von Emotionen und Bildern. An Beispielen aus dem Projektarchiv und Bildern die in der Arbeit der eingeladenen Kolleg*innen eine Rolle spielen, diskutierte der Kreis die komplexe Überlagerung verschiedener Analyseebenen.

Mit dem Projektteam diskutierten im Workshop:

  • Kathrin Fahlenbrach, Professorin für Medienwissenschaft an der Universität Hamburg, die bislang sowohl zu Medienstrategien sozialer Bewegungen („Protestinszenierungen“ Westdeutscher Verlag, 2002) als auch zu Emotionen in fiktionalen audiovisuellen Medien („Audiovisuelle Metaphern“ Schüren-Verlag, 2010) forschte, stellte erste Analysen zu Memes der identitären Bewegung vor. Sie vertrat die These, dass diese Memes durch Bildgestaltung und sprachliche Rahmung sowohl intuitiv als auch bewusst moralische Emotionen wie Empörung, Verachtung und sozialen Ekel bei Betrachtern evozieren sollen.
  • Uffa Jensen, Professor am Zentrum für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin, der in emotionshistorischer Perspektive unter anderem zu „Zornpolitik“ (Suhrkamp, 2017) publizierte und zurzeit die Sammlung Langermann mit 10.000 antisemitischen Bildern dauerhaft in ein Archiv überführt. An einer Zeichnung und einer Karikatur stellte Jensen die Typologisierung des „Juden“ Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts vor und verwies auf die zentrale Rolle des Ekels in der Rezeption dieser Bilder.
  • Charlotte Klonk, Professorin für Kunst und Medien an der Humboldt-Universität Berlin („Terror. Wenn Bilder zu Waffen werden“ Fischer, 2017), zeigte am Beispiel der Fotografie „Falling Man“ von Richard Drew, wie Bilder das kollektive Imaginäre des Terrors repräsentieren und dabei, spezifisches Wissen und Nähe zum Ereignis vorausgesetzt, mit einem emotionalen Überschuss gelesen werden.
  • Jan Plamper, Professor für Geschichte am Goldsmith College („Geschichte und Gefühl“ Siedler, 2012), knüpfte an die Analyse antisemitischer Bildsprache an. Er argumentierte, dass sich die antieuropäische Kampagne der ungarischen Regierung, die Investor George Soros im Rücken des EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker zeigt, dieses Bildwissen in subtiler Form aufruft.