Mit dem enorm-Magazin hat Simon Teune über die jüngsten Klimaproteste gesprochen. Unter anderem ging es um die Rolle von Bildern für die Mobilisierung der Fridays for Future:
Protestforscher Teune hat diese „Bilder der Empörung“ untersucht. Wo die Anti-AKW-Protestler mit Totenköpfen und Giftsymbolen und Schutzanzügen auf die Bedrohung der Menschheit durch militärische und zivile Atomkraft aufmerksam machen wollten, stellt FFF die Erde als brennenden Ball dar, als fiebrigen Patienten, der Beistand bedarf. Teune: „Die Bilder transportieren die Botschaft, belegen die Legitimation des Protestes und sind ein wichtiger Moment der Selbstvergewisserung“ – ich bin nicht allein, wir sind viele. „Sie sind ein zentrales Vehikel, um den Protest dauerhaft aufrecht zu erhalten.“
In einem Interview mit dem Deutschlandradio Kultur am 8. Oktober 2019 ordnete Simon Teune die Bildsprache der Klimagerechtigkeitsbewegung ein. Das ganze Interview ist hier zu hören:
Im Folgenden sind die zentralen Aussagen im Interview zusammengefasst:
Wirkung von Bildern
Bilder sind für Protestbewegungen zentrale Medien, um Botschaften zu transportieren. Mit Bildern kann man Aufmerksamkeit erzeugen, ein Problem definieren und Emotionen formen. Die Fahnen mit dem Symbol von Extinction Rebellion sind dafür ein gutes Beispiel. Sie machen neugierig: was bedeutet dieses Symbol, das jetzt überall zu sehen ist? Sie bieten eine Problemdeutung an: das X im Kreis steht für Sanduhr und Erde. Das sagt uns: die Zeit läuft ab. Die Erde, wie wir sie kennen, ist in Gefahr, ausgelöscht, ausgekreuzt zu werden. Damit klingt auch der emotionale Gehalt des Symbols an: es bringt die Angst vor der unbewohnbaren Erde zum Ausdruck.
Bilder haben auch die Funktion, den Protest zu bezeugen. Sie sollen zeigen: der Protest hat stattgefunden. Er hat viele Menschen bewegt. Wenn Bewegungen Bilder von Menschenmassen schaffen, wirkt das in zwei Richtungen: nach außen geht es darum, Druck auf Entscheider aufzubauen und nach innen darum zu zeigen: wir sind viele.
Bildtraditionen
Bilder haben eine Wirkung, weil sie an ein visuelles Wissen anschließen. Wir verbinden etwas mit ihnen, weil wir etwas wiedererkennen. Auch die Klimabewegung nutzt dieses Bildwissen. Auf den Plakaten bei den Fridays for Future sieht man z.B. häufig Darstellungen der Erde. Sie zeigen den Horizont des Problems an: Es geht bei der Klimakrise ums Ganze. Wird die Erde z.B. mit Thermometer im Mund gezeigt, haben Betrachter*innen die Analogie zu Krankheit im Kopf: erhöhte Temperatur bedeutet Gefahr! Und zwar für alle, die auf dem Planeten leben.
Das Bildwissen, das soziale Bewegungen in ihren Inszenierungen nutzen, hat eine lange Geschichte, das z.T. bis in die christliche Ikonographie oder in die griechische Mythologie zurückreicht. Viele dieser Bilder schließen auch an frühere Bewegungen an. Für die Klimabewegung ist die Umwelt- und die Antiatombewegung ein zentraler Bezugspunkt. Auch in diesen Bewegungen gab es sehr bedrohliche, an historische Traditionen anknüpfende Bilder von Zerstörung und Vergiftung, z.B. eine starke Bildsprache der Todesdrohung: Skelette, Kreuze, verwüstete Landschaften, bedrohte Tiere.
Ein Element, das in den 1980er Jahren in der Antiatom-Bewegung eine deutlich wichtigere Rolle gespielt hat, heute aber kaum auftaucht, ist die Personalisierung, die Überzeichnung von Politikern und Unternehmern als verantwortungslos und geldgierig, z.B. der Politiker, der von Konzerninteressen ferngesteuert wird. Als der Konflikt dann an einzelnen Atomstandorten eskaliert (in Brokdorf, Gorleben, Wackersdorf), wird auch die Polizei ein wichtiger Bezugspunkt. Polizisten erscheinen als düstere Erfüllungsgehilfen von wirtschaftlichen Interessen. Der Polizeihelm verschwimmt etwa in einer Karikatur mit einer Reaktorkuppel. Daneben findet sich die Gegenüberstellung von fröhlichen und entschlossenen Umweltschützer*innen auf der einen Seite und gesichtslosen Uniformträgern auf der anderen Seite. Das finden wir heute in der Klimabewegung -zumindest noch- nicht.
Bilder als Medien
Bilder sind nicht einfach da und sie haben auch keine fixe Bedeutung, sondern sie erlangen Bedeutung dadurch, wie sie in Umlauf gebracht und kommentiert werden. In den 1980er Jahren hat man zum Beispiel Fotos von Protestaktionen auf Wandzeitungen geklebt und in den Innenstädten ausgestellt. Da stellt sich die Frage: welche Fotos werden ausgewählt? Welche Textbotschaften werden dazu geliefert? Das sind die Mittel, mit denen die Aktivist*innen selbst das Bild der Proteste bestimmen wollten.
Heute haben wir eine ganz neue Situation: eine Ausweitung der Möglichkeiten, Bilder herzustellen und zu verbreiten. Eine Aktion wie der Klimastreik am 20. September wird über zehntausende Fotos mit der Smartphonekamera in Echtzeit dokumentiert und dann vor allem über soziale Medien und Messengerdienste verbreitet. So werden Bilder aus aller Welt verfügbar, sie werden zusammen verbreitet, um die Größe und die globale Dimension der Proteste vor Augen zu führen.
Die digitale Verbreitung und die Möglichkeiten der Bildbearbeitung machen es aber auch leichter, Bilder zu entwenden und umzudeuten. So tauchen z.B. unvorteilhafte Bilder von Greta Thunberg in rechtsradikalen Memes auf. Sie werden so gedeutet, dass Greta als ferngesteuert und nicht zurechnungsfähig erscheint. Insofern haben digitale Medien Konflikte auch auf der Ebene der Bilder zugespitzt.
Bilder und Journalismus
Protestbewegungen gestalten ihren Protest so, dass er starke Bilder erzeugt. Dabei geht es auch darum, den Protest als Nachricht interessant zu machen und Journalist*innen anzusprechen – durch die Motive, die Ortswahl und auch durch das Timing. Der Journalismus ist ein zentraler Multiplikator, mit dem man seine Botschaft verbreiten kann. Wenn ein Bild eindrücklich ist, eine Botschaft auf den Punkt bringt und in die Nachrichtenkonjunktur passt, dann stehen die Chancen gut, dass es auch verbreitet wird. Unter Umständen wird es auch zur Bildikone, die stellvertretend für eine ganze Bewegung steht. Das Bild von Greta Thunberg vor dem schwedischen Parlament hat dieses Potenzial.
Foto: Aktion von Extinction Rebellion am 24.11.2018 in London. Fotograf: Steve Eason (cc-by-nc-sa, via Flickr)
„Ästhetik des Protests“ lautet die Keynote von Dorna Safaian zur Fachtagung „Auf die Straße! Politischer Protest in Deutschland“ der Bundeszentrale für politische Bildung am 18. Juni 2019. Der Vortrag ist zusammen mit der zweiten Keynote des Protestforschers Dieter Rucht in der Sendung „Hörsaal“ von Deutschlandfunk Nova gesendet worden und hier nachzuhören.
In einem Interview mit Radio Bremen 2 erinnerte Simon Teune an die Motivation der frühen Anti-AKW-Bewegung in Gorleben und an die Bedeutung, die der Standort für den Konflikt gewonnen hat.
Gorleben und die Frage der Entsorgung standen irgendwann stellvertretend für alle Probleme dieser Technologie und des ganzen Atomprogramms.
Durch den kontinuierlichen Protest gegen das geplante Endlager und die Castor-Transporte hat das Wendland viele Atomkraftgegner*innen dauerhaft angezogen.
Das hat die Region und die politische und kulturelle Landkarte dort stark verändert.
Die Proteste der 1970er Jahre wirken bis heute nach. Durch die Gründung der grünen Partei und die Belebung von Umweltverbänden ist eine starke Infrastruktur entstanden, aus der heraus gesellschaftliche Veränderungen hin zu einer klimagerechten und nachhaltigen Zukunft einfordert werden. Diese Koalitionspartner versetzen auch die gegenwärtigen Klimaproteste von Schüler*innen und Studierenden in eine gute Ausgangsposition, um für ihre Forderungen nach einer radikal anderen Klimapolitik Gehör zu bekommen.